Täglich belästigt

Vormittag. Ich sitze im Saar-Basar auf einer Bank und checke mein Wertpapier-Depot. Ein grauhaariger Mann mit Pferdeschwanz in olivgrünem Kurzparka pfeift, während er an mir vorübergeht. Nicht vorher, nicht nachher. Nur während er an mir vorübergeht.

Abends halb sieben in der Saarbahn. Zweimal hintereinander pfeift jemand im hinteren Teil des Zugs. Es ist wieder die gleiche kurze Melodie aus fünf Tönen, die ich seit Wochen höre. Ein lautes, deutliches DÜDELDADÜDÜ.

Vormittag. Heute sind mir viele unsympathische Menschen begegnet. Aber nur einer hat gepfiffen. Ein Straßenkünstler. Er stand in der Bahnhofstraße auf einem Podest, hatte ein weiß geschminktes Gesicht, einen roten Mund und trug einen langen schwarzen Mantel. Er wollte eine Szene aufführen, hat aber, weil ich in diesem Augenblick an ihm vorbeiging, nur blöde vor sich hin gepfiffen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass das Pfeifen ein Teil der Performance war. Pfeifend sah er aus wie ein kleiner Spießer. Ein Versicherungsangestellter zum Beispiel.

15:45 Uhr. Wieder dieser Ton. Ich höre ihn immer öfter. Es ist eine kurze Melodie aus fünf gepfiffenen Tönen. DÜ-DEL-DA-DÜ-DÜ. Heute hat ihn ein Mann in der Stadtbibliothek gepfiffen.

18:35 Uhr. Laute Schreie und irre Pfiffe Jugendlicher auf dem Gustav-Regler-Platz, während ich am Computer meine Konten und Depots checke.

Der Tag heute war erstaunlich ruhig. Bis zum Abend hat niemand mich belästigt. Aber mir sind ungefähr zwanzig Afrikaner mit sehr dunkler Haut begegnet, die dunkelgraue Winterjacken, Wollmützen oder Pullover getragen haben. Ich kenne auch die Ursache für dieses Überangebot an schokoladefarbenen Menschen. Ich habe eine neue Schokoladenmarke entdeckt. Rausch Plantagen-Schokolade. Es gibt sie in kleinen kalorienarmen 40g-Stangen. Ich esse täglich eine. Am liebsten die Sorte Trinidad, mit 85% Kakao (macht die Schokolade sehr dunkel) in einer dunkelgrauen Folienverpackung.
Gestern waren es etwa zwölf. Nicht Schoko-Stangen, sondern auffallend dunkelhäutige, große, schlanke Afrikaner. Am Tag davor vielleicht sechs. Jeden Tag werden es mehr.

Abends in der Saarbahn hat dann doch noch jemand gepfiffen. Es war ein siebenjähriger, ganz in Grün gekleideter (Pullover, Jacke und Hose) Türkenjunge. Ich stehe am Kinderwagenplatz, er sitzt auf dem Zweier-Platz dahinter. Er ist das zweitjüngste Kind einer Familie mit vier Kindern, die alle zusammen in der Bahn fahren. Ich sehe sie oft. Der Junge nimmt sein Handy aus der Jackentasche und spielt damit. Das Pfeifen hört auf.

Vormittag. Vorm Aldi am Rastpfuhl stößt ein verwahrloster, grauhaariger Mann mit Bart mehrere aggressive Pfiffe durch die Zähne aus, als ich an ihm vorbeigehe.

In der Saarbahn pfeift jemand eine Melodie, die sich wie DÜDELDADÜDÜ anhört. Synchron pfeift draußen auf der Straße ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen in einem goldgelben Steppmantel und einem knallgrünen Pullover.

In der Getränkeabteilung vom REAL im Saar-Basar nehme ich eine Halbliter-Flasche Eistee aus dem Regal. Ein großer Mann in einer roten Jacke fährt mit dem Einkaufswagen in den Gang. Er pfeift.
Nach zehn Minuten komme ich zurück. Er steht immer noch da. Fast zwanghaft sortiert er die Saft-Kartons in seinem Einkaufswagen. Er sieht mich und pfeift wieder.

Später sitze ich auf der Bank vorm Adler-Modemarkt und knabbere eine 40g-Stange Rausch-Plantagen-Schokolade. "Das ist die einzige Schokolade, die mir schmeckt", sage ich leise zu mir selbst. Ein Mann in blauer Jacke fährt mit einem vollen Einkaufswagen auf mich zu und pfeift.

Einige Minuten später stellt ein Mann in einer gelben Jacke seine schweren Einkaufstaschen neben mir auf die Bank. Er pfeift. Ich sehe ihn verärgert an. "Heute haben wir aber wieder viel eingekauft", sagt er in beschwichtigendem Ton.