Samstag, 30. Januar 2016
Ein Tag länger als ein Leben. Oder: Ich werde an einem Tag häufiger belästigt als andere Menschen in ihrem ganzen Leben (29.01.2016).
In der Saarbahn denke ich darüber nach, warum das Unternehmen Kipling seinen Handtaschen in dieser Saison die Farbe "night grey" verpasst hat. Warum nicht "dark grey"? Weil Frauen nicht dunkel oder düster sein wollen, höchstens Nachteulen. Bin ich eine Nachteule? Manchmal ... Meine unglaublich seichten Gedanken werden von einem leisen düdeldadüdü hinter mir im Zug unterbrochen.

In der Europa-Galerie geht eine Frau in einer schwarzen Ballon-Mütze vor mir. "Was für eine hässliche Mütze!", denke ich. Draußen vor der Europa-Galerie kommt mir ein Mann entgegen, der ebenfalls eine schwarze Kappe trägt. Als wir noch zwei Meter voneinander entfernt sind, spuckt er aus.

In der Stadtbibliothek. Ich will eine Seite aus dem Internet ausdrucken. Ich trage meinen H&M-Norweger-Pullover, den es für fünf Euro im Sale gibt. Ich sehe blöd damit aus, mein Schal passt nicht dazu, ich falle auf. Ich würde den Pullover am liebsten ausziehen. Am Tisch vor der Drucker-Kabine haben vier Jugendliche Platz genommen. Als ich an ihnen vorbeigehe, wenden alle vier die Köpfe zu mir und starren mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich schneide eine Grimasse.

Halb elf vormittags. Ich sitze im Lesecafé und warte auf Herrn Prinz. Seit einer halben Stunde warte ich. Er wird nicht kommen. Ich packe mein Handy weg. Im Bereich hinter der Ausleihe pfeift jemand zweimal düdeldadüdü.

12:28 Uhr. Ich bin im DINEA und tippe den Blogger-Eintrag vom 26.01.2016. Ich will das Wort "Stadtbibliothek" tippen, komme aber nur bis "Stadtb". Dann pfeift jemand laut düdeldadüdü.
12:38 Uhr. Ich lese den Blog-Eintrag vom 26.01.2016 nochmal durch. Der Schlusssatz fehlt. Jemand pfeift düdeldadüd. Ohne das ü am Schluss. Weil der Schlusssatz fehlt.
Ich schreibe das verkürzte düdeldadüd in mein Notizbuch und der gleiche Mensch pfeift ein vollständiges düdeldadüdü. Ich schreibe dieses düdeldadüdü auf und aus einer anderen Ecke des Restaurants ertönt ein drittes leises düdeldadüdü.
12:50 Uhr. Mir gegenüber sitzt ein älteres Ehepaar. Der Mann liest Zeitung und redet mit aufgeregter Greisenstimme mit seiner Frau. Seit dieses Ehepaar aufgetaucht ist, hat das düdeldadüdü-Pfeifen im Restaurant angefangen. Jetzt setzen sich zwei junge Frauen an den Tisch neben mich. Wieder pfeift jemand düdeldadüdü. Ich schreibe den Vorfall auf, komme bis zu dem "und" nach "Der Mann liest Zeitung" und wieder pfeift jemand düdeldadüdü.

Seit einer Stunde werde ich an einem Tisch in der Nähe von drei laut palavernden Chinesen terrorisiert. Zwei Frauen und ein Mann. Als ich den Computer (Made in China) zuklappe, werden sie ruhig.

Halb drei, Haltestelle Johanneskirche. Drei (deutsche) Schüler stehen zusammen. Einer sieht mich. Er tut, als wäre ihm gerade etwas Wichtiges eingefallen und spuckt dann auf die Saarbahn-Gleise.

Späterer Nachmittag. Ich bin schon wieder im DINEA. Im Internet lese ich einen Bericht zum Thema Europäische Krankenversicherung. Im Restaurant pfeift jemand.
Am Tisch vor mir sitzt ein grauhaariges, französisches Ehepaar. Ein anderes französisches Ehepaar kommt dazu. Die zwei Paare begrüßen sich mit französischen Wangenküssen. Das ist normal. Aber dass sie dabei so laut schmatzen, dass die Tische wackeln - das ist nicht normal.

Ich verlasse die Galeria Kaufhof und gehe Richtung Kaiserstraße. Plötzlich ein spitzes Quieken. Ich drehe mich um. Eine dünne Frau mit blondierten Haaren zeigt mit steif ausgestrecktem Zeigefinger auf ein grauhaariges Ehepaar, das vor dem Seitenausgang des Kaufhof steht. Es sind Bekannte der Frau. Sie trägt eine schicke schwarze Jacke mit einer riesigen pelzverbrämten Kapuze. Sie wirkt wie festgenagelt. Dann stelzt sie über die Straße und begrüßt erst die Frau, dann den Mann mit jeweils zwei Wangenküssen. Sie schmatzt dabei so laut, dass ich das Schmatzen bis zu meinem Platz etwa dreißig Meter entfernt hören kann.
Ich denke, dieser Vorfall hat mit einer E-Mail zu tun, die ich gerade eben an das finnische Bekleidungsunternehmen Luhta geschrieben habe. Ich habe mich über Kapuzen aus Echtpelz an den Luhta Sportjacken beschwert. Das ist sinnlose Tierquälerei.

Abends im DINEA. Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, dass ich immer Quälgeister an den Tischen neben mir habe, oder eine Art höhere Fügung. Monster, ausgesandt, mir den allerletzten Nerv zu rauben. Heute ist es eine französische Mutter mit ihren zwei erwachsenen Töchtern. Sie sitzen seit mehr als einer Stunde neben mir und reden ununterbrochen. Sie holen niemals Atem. Sie reden mit unglaublicher Geschwindigkeit. Wenn eine müde ist, übernimmt die nächste das Wort. Es ist wie ein permanent um mich herum gewobener Klangteppich. Als wäre ich hinter engmaschigem Kaninchendraht eingesperrt. Ich muss wie so oft meinen Tisch verlassen und einen neuen Platz suchen.

Eine Schrecksekunde erlebe ich um 18:30 Uhr an der Ampel vor der Johanneskirche. Hinter mir gehen drei französisch sprechende Männer mittleren Alters. Neben mir stehen zwei junge, deutsche Männer, die aussehen, als wären sie schon häufiger im Internet versumpft. Einer trägt einen Vollbart. Er pfeift laut. Ich pfeife auch. Die Fußgängerampel wechselt auf Grün. Die jungen Männer und ich gehen los. Plötzlich rechts von mir kreischende Bremsen. Ein Kleinwagen mit französischem Kennzeichen hat die rote Ampel übersehen und hält direkt vor meinen Füßen. Das war knapp. "Alter!", höre ich den jungen Mann mit dem Vollbart sagen. Der Autofahrer - ein junger, blonder Mann - hebt entschuldigend die Hände.

19:10 Uhr. Europa-Galerie. Ich schaue durch die Scheibe des McCafé. Ein Paar fällt mir auf. Sie hat lange, blondierte, dauergewellte Haare, er ist unscheinbar. Mit einer mechanischen Bewegung streichelt er ihren Hintern. Ich mache ein Foto (erwische das Arschstreicheln aber nicht). Die zwei sehen sich an, als hätte ich ihnen gerade ein wundervolles Kompliment gemacht, und küssen sich auf den Mund.
Ich komme aus dem dm-Markt. Schaue nach rechts und die gleiche Kombi wie eben begegnet mir. Sie lange, blondierte Haare, olivgrüner Parka, er unscheinbar. Er streichelt ihren Arsch. Ich sehe ihnen nach und sie küssen sich.

Überall um mich herum pfeifen Leute. Am Hauptbahnhof zum Beispiel. Ich denke daran, dass ein solider Job bei einer Versicherung eigentlich meine Zukunft hätte sein müssen. Aber ich hätte so einen Job nie ausgehalten. Bei diesem Gedanken pfeift ein Mann laut eine langsame, getragene Melodie.

In der Stadtbibliothek am Internet-Computer. Am Terminal mir gegenüber zwei schwarze Jugendliche. Sie füllen ein Formular aus. Sozialhilfe-Antrag oder so. Sobald ich mich setze, sagen sie nur noch "Alter" zueinander. Sie wollen eine Kopie des Formulars anfertigen, haben aber kein Kleingeld. Sie fragen einen Mann, der ihnen aber nichts gibt. Eine halbe Stunde quatschen sie, unterbrochen von "Alter! Alter!", darüber, wo sie die zehn Cent herbekommen können. Mich fragen sie nicht. Schade. Ich hätte ihnen zu gern gesagt, dass sie von mir nicht einen Cent bekommen. [Als ich diesen Satz in der Saarbahn nach Lebach schreibe, gibt ein Mädchen, das zu einer Gruppe Jugendlicher gehört, die in der Bahn Unfug treiben, seinem Freund einen fetten Kuss auf die Lippen. Ich spüre die Berührung bis in meine Schamlippen und ekele mich. Als ich das Wort "Unfug" schreibe, küssen die beiden Jugendlichen sich nochmal so richtig fett.]

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28.01.2016
12:45 Uhr. Ich habe einige Tage Pause gemacht und die biedere Küsserei, die den ganzen Tag um mich herum passiert, ignoriert. Aber jetzt war es zu widerlich. Ich bin im DINEA. Am Tisch neben mir ein fleischfressendes deutsches Ehepaar mittleren Alters. Der Mann grauhaarig und untersetzt, die Frau dicklich und braunhaarig. Der Mann hat seinen Teller aufgegessen. Die Frau isst noch. Der Mann steht auf. Er wirft mir einen neckischen Seitenblick zu und küsst seine Frau, die ihr Essen kaut, auf den Mund. Danach geht er aufs Klo.
13:15 Uhr. Das dicke Ehepaar ist gegangen. Mit Tabletts voll schmutzigem Geschirr in den Händen und erneut einem Blick auf mich haben sie sich vor dem Gehen mehrere Male mit leisem Schmatzen auf den Mund geküsst. Ich sitze an meinem Laptop und denke über die Börsenkurse nach. Unhygienische Essensreste und eine verzweifelte Frau wecken in deutschen Menschen romantische Gefühle. Das ist eine Erfahrung, die ich immer wieder mache.

Am Hauptbahnhof. Drei Minuten bis zur Abfahrt der Bahn. Neben mir steht ein Paar, beide braunhaarig, der Mann mit einem großen Aktenkoffer in der Hand. Sie werden sich küssen, das ist klar. Um den Vorgang zu beschleunigen, wölbe ich leicht meinen Unterleib nach vorne und spüre bewusst meine Schamlippen. Das wirkt immer. Das Pärchen reagiert sofort. Ihre Augen verdunkeln sich. Sie kommen sich beim Gespräch immer näher. [Während ich das an der Haltestelle Rastpfuhl schreibe, küsst sich ein blondes, pickliges Schüler-Paar auf der Bank neben mir heftig. Schon als ich aus der Bahn ausgestiegen bin, fingen sie an, unkontrolliert zu zucken und wollten sich küssen, aber ich war noch nicht in der richtigen Stimmung. Jetzt klappt's.] Ich feuere sie an: "Die Lippen! Lippenberührung!" Ich sage das immer wieder. Ich glaube, sie hören mich nicht einmal. Nach zwei endlos langen Minuten die erste Lippenberührung mit einem schmatzenden Geräusch. Eine Minute dauert das Schmatzen. Dann kommt die Bahn und die Folter, den zwei Widerlingen beim Knutschen zusehen zu müssen, hat ein Ende. [Während ich das schreibe, versinkt das picklige Pärchen neben mir in einem Kuss nach dem anderen. Sie sehen sich so tief in die Augen wie wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben. Gerade haben sie laut geschmatzt. Mein Schreiben animiert sie zu einer wahren Knutsch-Orgie. Einen besonders tiefen Zungenkuss gibt es, als mir einfällt, dass ich heute zwei Haltestellen weiter, am Rathaus, aussteigen will. Erst als ich aussteige, hören sie auf, mich zu vergewaltigen.]

Wieder in der Saarbahn. Ein dicker, ausländisch aussehender Mann in einer blauen Handwerker-Montur, der mir gegenüber sitzt, holt mit dem Finger ein Stück Rotz aus der Nase.

In der Leipziger Straße, Asozialen-Viertel von Saarbrücken. Mehr als die Hälfte der Bewohner sind Türken und andere Ausländer, der Rest Alkoholiker and so on. Am "KiK" kommen mir gleich mehrere Türken entgegen. Einer ist klein, untersetzt, hässlich. Er hat ein Brett unterm Arm. Ein Kind läuft neben ihm her. Er wirft mir einen verschlagenen Blick zu. Dann röchelt er. Ich höre deutlich, wie er Rotz, Schleim und Spucke aus dem Hals nach oben würgt. Dann spuckt er vor mir aus.

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